Der kurze Sommer der Anarchie

Von den coolen 80ern über die politisierten 90er zur glatten Millenniumskunst: Was wird aus der Projekt-Kunst?

Text: Marius Babias

Die Kunst plünderte in den 80er jahren ihr historisches Reservoir aus. Sie schien am Ende einer entwicklungsgeschichtlichen Erkenntnis angelangt zu sein. Begriffe wie "Postmoderne", "Transavantgarde", "Appropriation" und "Simulation" prägten die Diskurse der 80er jahre. Die expressiven Malerei feierte eine Renaissance und die coole Oberfläche ihren Siegeszug. Doch in Hinterhofateliers wurden Modelle künstlerischer Praxis entwickelt, die in den 90er jahren die Debatten dominieren sollten. Diese Ansätze, die sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinander setzten - etwa mit Obdachlosigkeit und Urbanismus - erhielten das Etikett "Projekt-Kunst".

Dienstleistungskunst

Der Zusammenbruch des Kunstmarktes Ende der 80er jahre hatte die "Projekt-Kunst" begÜnstigt. Die 90er versprachen eine Wiedergeburt des Politischen in der Traditionslinie der ConceptualArt. Fachblätterwie Texte zur Kunst erhoben die kommerziell schwer verwertbare Projekt-Kunst zum Stilbegriff des jahrzehnts. Für diese Kunst standen in Berlin Zusammenschlüsse wie BüroBert, minimal club oder Kunst und Ökonomi. In der Projekt-Kunst wurden die Rezipienten zu Mitproduzenten der künstlerischen Arbeit. Die Kunst sollte aus dem Gefängnis der Form befreit und hinaus ins pralle Leben entlassen werden. Die dem Genie-Kult huldigende "künstlerische Autonomie" wurde als Zwangsjacke empfunden, die lediglich dazu diente, Umschreibungsprozesse in der Gesellschaft zu kaschieren und einen bürgerlichen Disktinktionsgewinn zu gewährleisten. Deshalb wurden die Rezipienten emanzipiert.

Als bewusst offener und experimenteller Prozess erörterte Projekt-Kunst auch grundsätzliche Aspekte künstlerischer Praxis. Was aber ist das Spezifische der Projekt -Kunst? Wo sind die Unterschiede zu den gern zitierten Positionen der 60er und 70er jahre ? Der Conceptual Art - Promoter Seth Siegelaub kritisiert im Rückblick die Technologie-Gläubigkeit und den Informationsfetischismus jener Zeit. Für ihn ist die objektkritische Conceptual Art eine Wegbereiterin der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft: "Auf der einen Seite reflektierte Kunst die radikalen politischen Ideen dieser Zeit, aber sie spiegelte auch die eher konservativen Aspekte der 60er jahre, so etwa das Aufkommen des tertiären Sektors, des Dienstleistungsbereichs. Man könnte argumentieren, ,konzeptuelle Kunst' sei lediglich eine weitere Facette der entstehenden Kommunikationsgesellschaft gewesen, Stichwort ,Global Village'."

Künstler, die sich auf Positionen der historischen Conceptual Art beziehen, agieren im Bewusstsein, dass Kunst Ausdruck einer gesellschaftlichen Dauerkrise ist. Dennoch sollte Siegelaubs Geschichtspessimismus zu denken geben. Das Schlüpfen der Projekt-KÜnstler in verschiedene Rollen, Medien und Genres hat das Feld kÜnstlerischer Praxis zwar geöffnet und neue Hoffnung auf die überwindung des Grabens zwischen Kunst und Leben gemacht. Aber zugleich wurden diese gesellschaftlichen Interventionsmodelle von den Institutionen absorbiert und in eine Dienstleistungsideologie eingebaut. Um ihre Legitimation besorgt und darauf bedacht, das institutionelle Elend zu verlängern, stürzten sich viele Museen, Kunsthallen und Kunstvereine auf die Projekt-Kunst. Das Soziale wurde so in ästhetischen Stoffverwandelt. Kaum hatte sich Mitte des letztenjahrzehnts der Kunstmarkt erholt, stießen die Institutionen die Projekt-Kunst wieder ab. Zu Beginn des Millenniums drohen die Museen erneut zur Müllhalde der Malerei und Fotografie zu werden.

Dezentralität und Vernetzung

Was aber geschiehtmitderProjekt-Kunst, die eine für die KunstentWicklung so wichtige Verschiebung des Rollenmodells Künstlers hin zum Rollenmodell Kulturproduzent vollzogenhatte? Geht sie in die Diaspora derHinterhofateliers zurück? Kann sie den verlorenen Platz im Diskurs zurück erobern? War sie nur eine kurze Episode derproduktivenAnarchie? Aus einermarginalisierten Position heraus hat die Projekt-Kunst auf die neue Entwicklung bereits reagiert: keine Imagination einer totalisierten politischen Öffentlichkeit, sondern Dezentralität, Vernetzung und Kristallisation in Teilöffentlichkeiten.

Marius Babias, bis Dezember 2001 Kunst-Redakteur bei Zitty, ist Leiter Kommunikation der Kokerei Zollverein, Essen. lm Sommererscheint im Silke Schreiber Verlag sein Buch über die Kunst der 9Oer Jahre, Teil ll: "Hedonismus und ,linker Lifestyle'".

NEUE SERIE
Mit dem Text von Marius Babias beginnt eine Serie von Artikeln, die in lockerer Folge die Zukunft der Projekt-Kunst thematisiert. Im nächsten Beitrag schreibt die Wiener Kuratorin Stella Rollig über Kunst als Komplizin neoliberaler Politik.

Aktuelle ProJekt-Kunst In Berlin: Das deutsche Projekt Transnationale Republik und Cudi aus Dänemark zeigen bei Sparwasser HQ die Ergebnisse ihrer Gespräche zu Demokratie, Identität und politischen Themen im Kunstraum (siehe Foto). Danach wird die Diskussion mit allen Interessierten in dem Multiuser-Room Cultural Palace fortgesetzt: http://www.sparwasserhq.de (tägl. außer Mo 16-17 Uhr). Bis 9.3. Torstraße 161. Mitte, Mi- Do 16-19, Fr/Sa, 8./9.3. bei Tee bis 23 Uhr.

Zitty
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March 7th - 20th,2002