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Kurzurlaub in der «Transnationalen Republik»

Jakob Zoche und Tammo Rist rufen 2001 die erste «Transnationale Republik» aus. Jetzt wird das «politische Kunst-Projekt» oder «künstlerische Polit-Projekt» fünf Jahre alt. Um die Gründer zu treffen, begibt sich Iris Wessolowski auf einen Kurzurlaub in das Land ohne Territorium. Im Künstlerhaus Bethanien interviewt sie die beiden Berliner Künstler.

Interview Iris Wessolowski Fotos: Carola Schmidt

«Angesetzt ist das Projekt auf ein Menschenleben- so auf 96 Jahre», erwidert Zoche auf die Frage nach der Langlebigkeit eines virtuellen Staates. «Und eigentlich sind wir eher eine Interessenvertretung als ein Staat.» Momentan hat die erste Transnationale Republik etwa 3500 Bürger.

Jeder Weltbürger hat Mitspracherecht in globalen Fragen
Schon Mitte der 90iger Jahre, als das Wort Globalisierung verstärkt in der Öffentlichkeit und in den Medien präsent wurde, kam den Beiden die Idee. Rist erläutert sie: «Der Föderalismus des Einzelnen endet an der Staatsgrenze, für uns Deutsche spätestens an den Grenzen der Europäischen Union Da die Nationalstaaten ausschließlich nationale Interessen vertreten können und müssen, braucht es eine Institution; die Demokratie für den Einzelnen auf globaler Ebene ermöglicht. So etwas gibt es bis heute noch nicht. Mit der Bürgerschaft in einem transnationalen Staat besteht für jeden Weltbürger überhaupt erstmalig eine Mitsprachemöglichkeit in globalen Fragen, zum Beispiel zu Krieg und Frieden wie beim Irak Krieg oder zu Umweltfragen, wie beim Kioto-Protokoll.»

Die Transnationale Bürgerschaft wählt man einfach in Ergänzung zur nationalen Staatsbürgerschaft. Auflagen oder Zugangsbeschränkungen gibt es keine. Auch ein Wechsel ist jederzeit möglich, zum Beispiel zu einer anderen Meinungsvertretung, einer anderen transnationalen Republik. Gibt es den transnationalen Staat, der die eigene Meinung vertritt, noch nicht, so steht es jedem Bürger frei eine eigene Republik zu gründen. Im Parlament aller Transnationalen Republiken hat jedoch jede Republik nur das Stimmgewicht der durch sie vertretenen Bürger. Das Minimum ist eine Stimme.

Es kommt schon vor, dass Politikstudenten die Idee nicht ganz ernst nehmen.
«Wir haben die letzten Jahre vor allem das theoretische Modell weiterentwickelt und diskutieren es mit Studenten und Politikern auf nationaler und internationaler Ebene», erläutert Rist. Mit «wir» meint er auch die Gruppe von 150 Mitbürgern, die weltweit aktiv am Projekt und an Veranstaltungen mitwirken.

Bei ihren Vorträgen kommt es schon vor, dass Politikstudenten die Ideen der beiden Künstler nicht ganz ernst nehmen, berichtet Zoche mit einem Schmunzeln. «Wir meinen unser Projekt durchaus ernst!», wirft Rist ein. Er zieht das Fazit aus diesen Erfahrungen: «Spätestens wenn wir fragen: <Wie soll eine gelebte globale Demokratie aussehen?> <Welche alternativen Modelle gibt es?> oder <Setzt ihr euch mit solchen Fragen im Studium auseinander oder danach?> – spätestens dann wird es still und unsere Überlegungen werden wieder ernst genommen.»

Auch international sind Zoche und Rist unterwegs. Im Sommer 2005 haben sie das Projekt auf dem Europaischen Sozialforum in London vorgestellt.
Momentan wird fleißig am Internetauftritt unter www.transnationalrepublic.org gearbeitet, das Meldeamt soll automatisiert und die Vernetzung der Bürger optimiert werden.

Langfristig ist die Gründung weiterer Republiken zu erwarten und dann die Schaffung eines gemeinsamen Parlaments, den «Vereinten Transnationalen Republiken». «Dann stehen wir selbst vor der Entscheidung», sagt Rist, «ob wir uns mit realen Fragen in reale politische Entscheidungsprozesse einbringen wollen oder ob wir weiter am Modell arbeiten. Auf jeden Fall bleibt es spannend» - in den nächsten 91 Jahren.

eigenart
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01|2006