Das nächste Lied ist immer das schwerste

Pure Freude: Der 1. Transnationale Fußballchor sang in Berlin die Hymnen der Welt

Von Josef Engels

Kürzlich erzählte uns jemand etwas sehr Gruseliges. Ein lieber Kollege tat das, und ein beneidenswerter dazu. Er war nicht nur beim Endspiel von Yokohama leibhaftig im Stadion, sondern wurde auch noch bei der anschließenden Feier der deutschen Mannschaft geduldet. Was er aber zu berichten hatte, zerstörte alle Mythen, die sich um ein vermeintlich hochschulreifes, intelligentes und relativ geschmacksicheres Team zu ranken begannen. Alle Spieler, alle, konnten jeden Text von "Pur" auswendig. Bode auch? Auch Bode. Das tat weh. Dieselben Kicker, die beim Abspielen der Nationalhymne kaum den Mund aufkriegen: bei schwäbischem Kuschelrock werden sie plötzlich sentimental und sangesselig. Man kommt ins Grübeln. Ist die BRD-Hymne nicht genügend chartkompatibel? Brauchen wir was mit mehr Schweinerock-Gitarre und Grundschullehrer-Betroffenheitslyrik vor dem Spiel? Muss eine neue Hymne her?

Die Antwort ist: ja. Das glauben die Vertreter der "Ersten TRansnationalen Republik", eine Initiative mit einem gar nicht mal so abwegigen politischen Anliegen. Die Idee hinter der TRansnationalen Republik ist nämlich die: klassische nationale Bürgervertretersysteme sind eigentlich nutzlos bei der Lösung globaler Probleme. Einzelstaaten vertreten Einzelinteressen, die nicht unbedingt dem Willen der Mehrheit der Menschen entsprechen. Die Lösung: bei weltweiten Fragestellungen wäre es hilfreich, wenn nicht an Ländergrenzen gebundene Interessensgruppen ihre Forderungen geltend machen könnten. Jeder suche sich also seine eigene, nicht auf Ländergrenzen, sondern auf eine Meinung basierende Nation - das Resultat wären TRansnationale Republiken, mächtig wie Coca-Cola, aber politisch korrekter. Die erste TRansnationale Republik wurde im April 2001 gegründet, hat ihren Verwaltungssitz in München und ist eine sympathische Angelegenheit. Weil ihre Macher keine tumben Globalisierungs-Gegner, sondern mit Humor ausgestattete Wesen sind. Wo wir wieder bei der Nationalhymne wären.

Eine neue Nation braucht ein Erkennungslied. So auch die TRansnationale Republik. Deshalb hat sie einen Hymnen-Grand-Prix ausgeschrieben. Bis zum Ende dieses Jahres kann man Song-Vorschläge einreichen (das Ganze muss sing- und aufführbar sein sowie nicht länger als zweieinhalb Minuten dauern); per Internet können die Bürger der TRansnationalen Republik über ihre persönliche Nationalmelodie abstimmen.

Um zu zeigen, was es in dieser Richtung bislang gab, wurde jetzt zum Auftakt der Grand-Prix-Ausschreibung noch einmal das Best-Of aus dem bestehenden Hymnenrepertoire zur Aufführung gebracht. Und zwar vom "1. Transnationalen Fußballchor" unter der Leitung von Christian von Borries in der ehemaligen DDR-Staatsbank. Da konnte der 15-köpfige Chor noch so bedeppert in selbstgemachter Trikotgarnitur herumstehen - die Veranstaltung war bei weitem nicht so respektlos-schlampig, wie man denken mag. Sondern recht lieb und intonationsmäßig ziemlich basisdemokratisch. Dafür sind Hymnen schließlich da. (Wahrscheinlich) echte Kulturattachés unter anderem von Italien und Südkorea sprachen ergreifende Einführungsworte; der Fußballchor mühte sich ehrlich in den verschiedenen Landessprachen ab mit zum Teil eher weniger bekannten Erkennungsliedern aus Palästina oder Nord-Korea.

Und nun zu unserem persönlichen Grand-Prix-Ranking. Federal Republic of Germany: ungefähr so viele Punkte wie bei Siegel-Beiträgen üblich. Südafrika: ein Achtungserfolg. GUS: wie erwartet stark. DDR: auf jeden Fall zwölf Punkte; wirklich gut gemachter Pop-Song.

Noch eine Bitte an die diplomatische Vertretung der TRansnationalen Republik zum Schluss: Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft müssten nach Möglichkeit von der Abstimmung ausgeschlossen werden. Und wenn sich ein gewisser Hartmut Engler mit einem Beitrag zum Hymnen-Grand-Prix melden sollte - einfach ignorieren. Dann werden wir alle Weltmeister.

die Welt
page 29 (Metropolitan)
July 17th, 2002