Der Staat als Service-Provider

Georg Zoche und die Transnationale Republik

von Kai Barkowsky

Nicht Geburtsort oder Herkunft der Eltern, sondern ”Verwandtschaft im Geiste” verbindet die Bürger der Transnationalen Republik. Wieso soll man die Einschränkungen traditioneller Nationalstaaten in Kauf nehmen, wenn deren Organisation und Funktionen gar nicht seinem Lebensstil entsprechen, fragte sich eine Gruppe von Pasta-und-Wein-Enthusiasten, zu denen auch der Münchener DJ und Flugzeugmotorenkonstrukteur Georg Zoche gehört. Anlass war die Verweigerung einer Passverlängerung für eine Russische Freundin, die dem Kreis von Freunden die Abhängigkeit von staatlichen Institutionen vor Augen führte; Abhängigkeit von Staaten, für deren Zugehörigkeit man sich nicht frei entschieden hatte. In Zukunft sollte nicht mehr der Bürger auf den Staat, sondern der Staat vom Bürger angewiesen sein und so wurde im April 2001 die erste Transnationale Republik ausgerufen. Statt Territorium gibt es eine Webpage, Bürger kann werden wer möchte. Flexible citizenship heißt das Zauberwort. Die Idee der freien Wahl der Republik sei entscheidend, erzählt Georg Zoche. Als Bürger kann man jederzeit wieder austreten. Nicht mit dem Stimmzettel, sondern mit den Füssen wird gewählt.

Bis heute zählt die erste Transnationale Republik 1600 Bürger und wäre damit nach Georg Zoche die am schnellsten wachsende Republik weltweit. Die meisten Bürger stammen freilich noch aus Deutschland, mit Schwerpunkten in Berlin und München. Doch temporäre Einwohnermeldeämter gibt es auch anderswo, etwa in Kopenhagen oder Turin. Zwar kann man sich über das Netz als Bürger registrieren lassen, doch einen Ausweis und die eigene Währung - sogenannte Payolas - sind nur in den Einwohnermeldeämtern erhältlich. Die Ausweise der Transnationalen Republik ähneln dem bundesdeutschen, Georg Zoche reist mit ihm bereits durch Europa. Mit den Payolas soll eine eigene Währung etabliert und den transnationalen Bürgern eine gewichtige Stimme in der Welt verschafft werden. Als ”vierte Gewalt” sieht er die Macht des Geldes; eine Macht, die weit über die Grenzen der traditionellen Nationalstaaten hinausreicht.

Als Vorbild dienen weltweit operierende Konzerne, die bereits global agieren und geographische Grenzen mühelos überschreiten. Nur über eine weltweit agierende Organisation liessen sich heute die Interessen von Bürgern wirksam vertreten. Den dringendsten Problemen der Gegenwart stünden die Nationalstaaten weitgehend machtlos gegenüber. Klimaschutz und Menschenrechte liessen sich einfach nicht von in nationalen Kategorien denkenden Staaten lösen. So stellt sich Georg Zoche denn auch vor, dass Nicht-Regierungs-Organisationen wie Greenpeace und Amnesty International, die Ressorts Umwelt und Menschenrechte in einer Transnationalen Republik übernehmen könnten. Die demokratische Legitimation erfolgt durch den Zuspruch der Bürger gemäß dem ersten Grundgesetz der Transnationalen Republiken: ”Alle Macht geht vom Einzelnen aus und ist unveräußerbar.” Demnach steht es nicht nur jedem Bürger frei jederzeit die Republik zu wechseln, sondern auch eine eigene zu gründen. Über den freien Wettbewerb wird auf diesem Weg denjenigen Transnationalen Republiken die größte Macht zuteil, die den Wünschen der Bürger am besten nachkommen. "Heute handeln Politiker erst, wenn die Kosten des Nichthandelns nicht mehr zu tragen sind", so Georg Zoche. In einer Welt der Transnationalen Republiken würden die Wünsche der Bürger von der Regierung vorausgeahnt und erfüllt, ehe sie wirklich akut sind. So werden Transnationale Republiken zu Service-Providern für Dienstleistungen am Bürger. Die traditionellen Nationalstaaten behielten weiterhin ihre Existenzberechtigung. Sie sollten sich in Zukunft jedoch auf ihre Kernaufgaben - Fragen von nationaler Bedeutung - beschränken.

Die Homepage der Transnationalen Republik erfüllt bisher vorwiegend repräsentative Funktionen. Neben der bereits erwähnten Online-Einbürgerung lassen sich dort etwa das Manifest und Briefwechsel mit dem Innenministerium von Bayern und Berlin einsehen. Für die Zukunft schwebt Georg Zoche eine umfangreiche Bürgerdatenbank vor, über die transnationale Bürger in der ganzen Welt miteinander in Kontakt treten können. So soll es beispielsweise möglich sein, in fremden Städten und Ländern über diese Datenbank gleichgesinnte Bürger zu treffen. Territoriale Grenzen werden überschritten, Geistesverwandte treffen sich über das Internet, ein transnationales Netzwerk entsteht. "Vom Internet of Computer zum Internet of People" ist die Vision.

Auf der diesjährigen Biennale in Turin , die am 19. April eröffnet wird und dieses Jahr zum Thema "Gastland Internet" stattfindet, ist die Transnationale Republik mit einem eigenen Pavillon vertreten. Als Zahlungsmittel wird auf der Biennale der Payola als offizielle Währung eingeführt. Zwei Millionen Payolas hat die Zentralbank der Transnationalen Republik im Vorfeld gedruckt, um die Besucher der Biennale mit Geld zu versorgen. Mit größeren Währungsschwankungen ist nicht zu rechnen, der Payola ist fest an den Euro gebunden, der Wechselkurs beträgt vier zu eins. Um den Payola längerfristig zu etablieren ist dessen Einführung als Zahlungsmittel im Münchener Nachtleben geplant. Erste Gespräche mit Clubbesitzern werden bereits geführt. Und wer weiß, vielleicht beginnt auch die Erfolgsgeschichte der Transnationalen Republiken beim Geld; die Einführung des Payolas als Schritt in Richtung Weltregierung.

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April 12th, 2002