Der Pass der Weltbürger

400 Berliner sind Bürger der Transnationalen Republik. Sie haben eigenes Geld und eigene Pässe. Der Polizei ist das nicht ganz geheuer

von Lina Elter

Es geschah nachts um vier in Berlin. Tammo Rist fuhr gemeinsam mit seiner Freundin auf seinem Fahrrad nach Hause. Auf halbem Wege wurden sie von einem Polizeiauto gestoppt. Nach der Ermahnung, dass ein Fahrrad nicht von zwei Personen zu benutzen sei, wurden ihre Personalien überprüft. Das von Rist vorgezeigte Dokument sorgte für weiteren Ärger: ein Ausweis der "Transnationalen Republik". Und weil dieser in Größe und Aufmachung dem Personalausweis ähnelt, wurde er von den Beamten mit dem Vorwurf der Urkundenfälschung und aus "Gründen der Gefahrenabwehr" sichergestellt.

Die angebliche Gefahr hat inzwischen über 400 Gesichter in Berlin. Sie gehören den BürgerInnen der "Transnationalen Republik". Jeder von ihnen besitzt einen Ausweis, ausgestellt von speziellen Bürgermeldeämtern, und jeder fühlt sich als Weltbürger. "Die Interessen der Bürger können im globalisierten Zeitalter einfach nicht mehr hinreichend durch den Nationalstaat vertreten werden. Nationen können nicht transnational handeln", meint Jakob Zoche, gemeinsam mit Rist einer der Berliner Initiatoren der Transnationalen Republik. Die Idee, dass sich Bürger im Zeitalter der Globalisierung ihre globale Interessenvertretung frei wählen können und nicht mehr durch die Geburt an eine Nation gebunden sind, halten Zoche und Rist für ein längst überfälliges Faktum. Außerdem gehörten Menschenrechte, Gerechtigkeits- und Mitbestimmungsrechte des Einzelnen - gerade angesichts der zunehmenden Macht transnationaler Konzerne - in der "Transnationalen Republik" zu den notwendigen Grundrechten.

Gegründet wurde die Transnationale Republik im April 2001. Insgesamt 1.000 Menschen gehören ihr mittlerweile an. Die beiden 26-jährigen Kunststudenten Tammo Rist und Jakob Zoche "vertreten" diese quasi in Berlin und werben um neue "Mitbürger". "Im Moment kommt es uns darauf an, mit Hilfe des Internets ein noch besseres Netzwerk zwischen unseren Bürgern in aller Welt aufzubauen und die Menschen durch unser Projekt zum Nachdenken anzuregen", sagt Zoche.

Dass Kunst als Medium zur Vermittlung ungewöhnlicher Maßnahmen ein Instrument sein kann, wissen auch Rist und Zoche. Um mehr Bürger zu gewinnen, organisieren beide die Präsentationen der Republik auf Kunstausstellungen, zuletzt auf dem Kunstforum Berlin, wo sie sich mit einem "Bürgermeldeamt" beteiligen. "Die Einbindung in die Kunst ist für uns zurzeit noch die einfachste Möglichkeit die Republik bekannt zu machen", sagt Rist. Beim Bürgermeldeamt könne sich jeder informieren. Wer Bürger werden will, bekommt zur Identifikation mit dem Projekt einen Ausweis.

Rist spielt bereits heute den Chef des Bürgermeldeamts in Berlin. Ein an seine Wohnung in Neukölln angeschlossenes Ladenlokal dient als Büro. Dort kann auch bei der "Zentralbank der vereinten Transnationalen Republiken" jede Währung in Payola getauscht werden. "Das ist die Währung der Transnationalen Republik", erklärt Zoche, der die verschiedenen Scheine mitgestaltet hat. "Die Motive und die Beschriftung in unterschiedlichen Sprachen soll die globale Ausrichtung der Republik deutlich machen." Bei Veranstaltungen der Transnationalen Republik wird der "Payola" dann auch mal zum allein gültigen Zahlungsmittel.

So ist es auch für die Feier des russischen Neujahrstages am kommenden Sonntag im Künstlerhaus Bethanien in Kreuzberg in Zusammenarbeit mit der russischen Kulturstiftung geplant, wo Soljanka und Wodka in Payola bezahlt werden. "Uns werden immer wieder neue Angebote zur Präsentation in ganz verschiedenen Rahmen gemacht, wir haben sogar schon eine Einladung für die Kunstbiennale in Turin im Frühjahr vorliegen", sagt Rist.

Dass von der Idee der Transnationalen Republik keine Gefahr ausgeht, hat inzwischen auch die Polizei eingesehen. Sechs Wochen nach der Sicherstellung wurde der "transnationale" Ausweis als "ungefärlich" eingestuft und an Rist zurückgesandt.

die tageszeitung
Page 23
January 8th, 2002