Was machen wir heute?

Transnational werden

Wie eine Neu-Berlinerin diese Stadt erleben kann

von Dagmar Dehmer

Bertolt Brecht, der alte Pragmatiker, wollte lieber eine Bank gründen, als sie auszurauben. So etwas Ähnliches muss den Jungs, die im April in München die Transnationale Republik ausgerufen haben, auch durch den Kopf gegangen sein. Mehrfach haben sie - sind sie jetzt Künstler oder Politiker? - in Berlin Bürger geworben. Bei der Kunstmesse Art Berlin hatten sie ihr Einwohnermeldeamt fast versteckt aufgebaut. Doch wer wollte, konnte gleich beitreten.

Wir haben in einem halben Jahr schon mehr Bürger geworben als der Vatikan. Und der hatte viel länger Zeit", sagt Tammo Rist, einer der Staatsgründer, stolz. Der Ausweis ist grün und gelb, die Muster sind wie im Drogenrausch mit Wasserfarben aufgemalt. Das Foto sitzt rechts, nicht links wie im deutschen Personalausweis. Aber die Größe und Form sind ganz ähnlich. Ähnlich genug, um die nicht-transnationale Staatsgewalt immer mal wieder zu narren. Die Berliner Staatsanwaltschaft kam als erste auf den Gedanken, gegen die Republik-Gründer wegen Urkundenfälschung zu ermitteln. Schließlich haben sie sich nicht nur den Ausweis ausgedacht, sondern manchmal - wie im Oktober in der früheren Staatsbank der DDR - wird auch mit transnationalem Geld bezahlt. Die Währung, Payola, ist ebenfalls von Künstlern entworfen worden. Das Verfahren wurde inzwischen eingestellt. Auch die Staatsanwaltschaft Augsburg hat sich nur ein paar Wochen lang mit einem transnationalen Personalausweis herumgeschlagen, nachdem die Polizei in Lndau einen solchen sichergestellt hatte. Zur„Gefahrenabwehr", heißt es im Protokoll. Nach einigen Wochen stellten die bayerischen Beamten fest, dass es sich wohl um ein "Fantasiedokument" handle.

Mit Fantasie hat die Transnationale Republik zu tun. Die Idee, einen Staat zu kopieren, kam einer Gruppe junger GIobalisierungskritiker. Wie politisch ihr Anspruch tatsachlich ist, wissen sie vermuflich selbst noch nicht. Das Gründungsmanifest ist Jedenfalls denkbar einfach und passt auf eine DIN-A-4-Seite. „Hier sind wir Bürger, nicht Volk", heißt es darin. Und: „Unser Ziel ist die völkerrechtliche Anerkennung dieser Transnationalen Republik". Es dürfte also demnächst mit Wahlen zu rechnen sein. Denn irgendwie werden sich auch die jungen Staatsgründer legitimieren wollen. Der große Unterschied für transnationale Bürger jedenfalls ist: Wenn Ihnen ihr Staat nicht mehr passt, können sie einfach wieder austreten. Das wäre bei der Bundesrepublik Deutschland schwieriger Zumal: Wer keinen Staat hat, hat auch keine Papiere. Und wer keine Papiere hat, ist eigentlich kein Mensch. Genau dieser Gedanke hat den Münchner DJ Georg Zoche und seine Berliner Freunde zur Staatsgründung inspiriert. Wer wissen will, wie es weiter geht, muss nur Mitglied werden. Steuern gibt es in der Transnationalen Republik übrigens noch keine.

Der Tagesspiegel
December 27th, 2001