Neue Pässe für alle!

In München wurde die „Erste Transnationale Republik" gegründet

von Wolfgang Farkas

Es sind einige Dinge im Leben, die man sich nicht aussuchen kann. Dazu gehören die Eltern, und dazu gehört der Staat, in den man hineingeboren wird. Der Staat kann Mexiko heißen, oder Deutschland, und jemand mag traurig darüber oder stolz darauf sein - nationale Herkunft ist zufällig.

Am Montag wurde in München im Atomic Cafe die „Erste Transnationale Republik" ausgerufen. Es ist der halb spielerische, halb ernsthafte Versuch, der zufällig erscheinenden nationalen Identität einen eigenen Republikbegriff entgegenzusetzen. Die Bürger sollen sich selbst regieren; es gibt keine geografischen Grenzen mehr;Geburtsort und Blutsverwandtschaft sind unwichtig. Stattdessen beruft sich die Transnationale Republik auf „die Verwandtschaft im Geiste". Jeder, dem diese Republik sympathisch ist, kann ihr beitreten. Und wer glaubt, sie vertrete die Rechte ihrer Bürger nicht entschieden genug, tritt einfach wieder aus und sucht sich eine neue Republik - oder gründet selbst eine. So könnte der Slogan der Zukunft lauten: „Wählen Sie die Republik Ihres Vertrauens."

Ziel der Bewegung ist es, durch eine möglichst hohe Mitgliederzahl politisches Gewicht zu bekommen. Denn die Gründer der Republik fühlen sich von Parteien nicht ernst genommen und stehen gleichzeitig der wachsenden Macht multi-nationaler Konzerne skeptisch gegenüber. Sie finden es deshalb notwendig, eine Art globaler Plattform für die Durchsetzung von Bürgerrechten zu schaffen. Dabei beruft sich die Republik auf die Menschenrechte, auf den Schutz der Lebensgrundlagen und auf das Mitbestimmungsrecht des Einzelnen. Einer der Erfinder dieser Republik ist Georg Zoche, 32, Konstrukteur von Flugmotoren und Easy-Listening-DJ. In seiner Dachwohnung im Münchner Zentrum wurde der Verein „Transnationale Republik" vor wenigen Tagen gegründet: junge Menschen, hauptsächlich Männer in Anzügen oder Jeans, sitzen auf dem Parkettboden, debattieren aufgeregt; dann werden die bunten, frisch fabrizierten Geldscheine und Pässe inspiziert, Bier wird getrunken, und schließlich geht es um die Frage, ob jemand ein USB-Kabel dabei hat, damit das Manifest endlich ausgedruckt werden kann.

Die Idee entstand vor vier Jahren, als Zoche mit einigen internationalen Gästen zusammensaß. Jemand erzählte die Geschichte einer Berliner Russin, die nervlich am Ende war, weil sie ihren Pass verloren hatte. Und als ein anderer von der Theorie berichtete, jeder Mensch kenne über sechs Ecken jeden anderen Menschen, war die Idee geboren, ein Grenzen und Nationen überschreitendes Netz zu knüpfen. Zoche träumt davon, die Transnationale Republik könne eine einflussreiche Lobby werden - in sämtlichen Lebensbereichen: vom Klimaschutz über Wohnungspolitik bis zu einer gerechteren Verteilung materieller Güter. Wichtigstes Kommunikationsmittel ist dabei das Internet, mit dessen Hilfe Abstimmungen und Umfragen organisiert werden sollten. „Wir wollen moderne Formen direkter Demokratie entwickeln", sagt Zoche. „Du engagierst dich für ein Thema, das dich gerade betrifft, und du hast jemanden, der hinter dir steht."

Weil Politik auch Spaß machen soll, wurde das Atomic Cafe zur ersten Botschaft der Transnationalen Republik bestimmt. Und im kurzfristig organisierten Einwohnermeldeamt können sich Interessierte einen neuen Pass ausstellen lassen und ihre Mark in Payola-Scheine tauschen. Trinken und Tanzen erwünscht.

Süddeutsche Zeitung
April 18th, 2001